Gedenkgang der Oberzent-Schüler in Beerfelden

Gedenkgang der Oberzent-Schüler in Beerfelden

Im November sind Friedensgebet und Gedenkrundgang der Oberzent-Schule bereits eine gute Tradition. Gedacht wird der von den Nationalsozialisten aus Beerfelden deportierten und getöteten Juden. Federführend bei der Gedenkveranstaltung ist Schulleiter Bernd Siefert, der diese Aktion schon in seiner Zeit als Religionslehrer ins Leben rief. Mit seiner achten Religionsklasse reinigte er im Vorfeld wie jedes Jahr die in der Stadt verlegten Stolpersteine.

Stationen des Rundgangs waren die ehemalige Synagoge sowie die evangelische und katholische Kirche. An der ehemaligen Synagoge, dem heutigen „S’Lagger“, erklärte Bürgermeister Christian Kehrer die Ereignisse während der Reichspogromnacht. Luigi Perrone, Celina Seip und Ovidiu Suciu aus der zehnten Klasse ergänzten den Vortrag mit Zitaten, unter anderem von Uri Kaufmann, in dem beschrieben wurde, wie die Synagoge mithilfe eines Bulldogs abgerissen und der Jüdische Friedhof geschändet wurde.

Die Zehntklässler Noah Heckmann und Emilia Kaaden lasen aus einem Vortrag von Lena Gorelik vor, den diese vergangenes Jahr an der Schule gehalten hatte. Sie betonten den Wert der Erinnerung und der Menschlichkeit, warnten vor der Gefahr eines Wiedererstarkens von Antisemitismus und Gewalt. „Niemand darf vergessen, Mensch zu sein und sich als solcher einzubringen“, betonten sie.

Die Zehntklässler waren vor eineinhalb Jahren beeindruckt von Goreliks Darstellung der russischen Propaganda aus der Innensicht. Fassungslos blickte die Autorin auf das, was gerade in ihrem Geburtsland passierte. Sie wachte mit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in einer Welt auf, „in der sich alles zum Schlechten gedreht hatte“. Obwohl die Menschen gedacht hatten, „wir sind von der Pandemie und deren Konsequenzen einiges gewöhnt“.

Die Autorin emigrierte 1992 mit ihrer russisch-jüdischen Familie nach Deutschland. Sie erhielt ihre Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Die Autorin veröffentlicht sowohl belletristische als auch wissenschaftliche Texte und Reiseliteratur. Mit Textbausteinen von Uri Kaufmann und Helmut Schmidt gingen die Schüler auf die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ein. Kaufmann beschreibt in seinem Buch „Die Beerfeldener Juden“ die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung über die Jahrhunderte. So gibt das „Landesadressbuch für das Großherzogtum Hessen“ aus dem Jahre 1905 ein anschauliches Bild von der Präsenz jüdischer Geschäftsleute in Beerfelden. Die meisten bezeichneten sich als Viehhändler.

Am 9. Dezember 1941 wurde die jüdische Gemeinde aufgelöst, so Kaufmann. In Beerfelden wurden am 24. März und am 27. September 1942 zwei Deportationen durchgeführt. Das Vermögen der übriggebliebenen Juden wurde eingezogen, ihre Wohnungen beschlagnahmt. Sie wurden aus den Häusern geholt und auf dem Metzkeil in aller Öffentlichkeit auf Lastwagen aufgeladen.

Der 2015 verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt empfiehlt in seinem Werk „Religion in der Verantwortung“ zwei für jede individuelle, soziale und politische Ethik grundlegende Prinzipien: „Jeder Mensch ist menschlich zu behandeln“ und „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu“. Diese Regeln finden sich Schmidt zufolge in jeder großen religiösen Tradition. Man müsse der jungen Generation beibringen, dass Frieden kein naturgegebener Zustand ist.

An der evangelischen Kirche nahm Pfarrer Roger Frohmuth das Sinnbild einer leuchtenden Kerze für jeden Einzelnen auf. Jeder kann für Frieden und Menschlichkeit hell leuchten und den Schatten von Angst und Gewalt vertreiben, sagte er. Andere einzelne Kerzen können allerdings auch Funken sprühen und somit einen Flächenbrand auslösen. Jeder Schüler ist wie diese angezündete Kerze, so der Geistliche, jeder macht einen Unterschied, so klein er sich auch fühlen mag.

Mevlit Erdogan, Vorsitzender der muslimischen Gemeinde, griff das Thema auf. Er beschrieb, wie sehr die Aktualität ihn belaste. Der Beerfeldener zeichnete ein Bild: Wie es aussähe, wenn auf einmal Nachbarn ihn nicht mehr ansprächen. Er zeigte auf, wie bedeutungsvoll das Handeln jedes Einzelnen sich auf die Gesellschaft auswirkt.

An der katholischen Kirche beleuchtete Gabriele Maurer in Anlehnung an die Kampagne „Ein Herz für Kinder“ aus den 70er Jahren das Thema. Wir sollten in uns gehen und überlegen, wem wir ein Herz, unsere Gedanken schenken, meinte sie. Die Schüler erhielten zum Schluss kleine Herzen, auf denen sie notieren konnten, wem sie das Herz schenken möchten.

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